Gastbeitrag: Trainier doch mal ohne Leibchen…

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MFSFussballtraining.TV möchte auch anderen Experten in Form von Gastbeiträgen die Möglichkeit geben, ihr Wissen über Fußballtraining zu teilen. Den Anfang macht an dieser Stelle Rainer Martin Ramser von der Der kleine Lionel, einem sehr guten Kinder- und Jugendfußballblog.

Trainer doch mal ohne Leibchen …

Genauer Wahrnehmen – Schneller Handeln – Besser Fußballspielen

So provokativ, wie der Titel dieses Beitrags zu Beginn auch sein mag, er ist absolut ernst gemeint! Probiere es doch einfach mit deinen Kickern mal aus. Was hast Du zu verlieren? Genau, gar nichts! Und das Interessante an der Sache wird sein, dass Du erstaunt sein wirst, welche neuen (Trainings-) Möglichkeiten sich für dein Nachwuchstraining im Fußball ergeben werden und wie sich das Spielverhalten deiner Kicker von alleine verbessern wird. Nun, aber erstmal Schritt für Schritt.

Das Leibchen ist des Trainers liebstes Kind

Hand aufs Herz: Wie oft kam es bisher vor, dass eine Spielform – oder im Besonderen das Abschlussspiel – in deinem Nachwuchstraining ohne Leibchen stattgefunden hat? Wahrscheinlich eher selten bis kaum, nicht wahr?

Das ist grundsätzlich auch weniger zu kritisieren. Leibchen erfüllen nämlich eine sinnvolle Aufgabe: Sie ordnen die Spieler farblich den jeweiligen Mannschaften zu, sodass der Spieler X nicht mehr lange überlegen muss, ob Spieler Y zu seiner Mannschaft gehört oder nicht. Er spielt ihm den Ball einfach zu. Die Farbe signalisiert ihm ja, das Richtige zu tun. Der Entscheidungsprozess wird also farblich unterstützt, sodass der Spieler schneller – ohne langes Überlegen – eine Entscheidung treffen kann.

Soweit so gut – doch: Was passiert eigentlich beim Trainieren ohne Leibchen?

Vorteile des Trainings ohne Leibchen

Kinder und Jugendliche haben ein extrem hohes Interesse am körperlichen Verhalten der Mitmenschen. Besonders Jüngere sind nahezu perfekte Meister im Beobachten und Kopieren Anderer. Im Vordergrund der Beobachtung stehen vor allem die Körpersprache, die Mimiken und Gestiken enthalten. Während des Trainings ohne Leibchen macht man sich  die natürliche Beobachtungsgabe der Nachwuchsfußballer zunutze, indem man sie bewusst auf die Mimiken und Gestiken der Mit- und Gegenspieler lenkt. Aber zu welchem Zweck?

Mit dem Trainieren ohne Leibchen förderst Du die sogenannte Mimikresonanz deiner Spieler. Das bedeutet, dass deine Spieler lernen, Mimiken und Gestiken ihrer Mit- und Gegenspieler wahrzunehmen, zu interpretieren und darauf zu reagieren. Darin liegt auch der große Vorteil im Trainieren ohne Leibchen: Deine Spieler werden – auf  längere Dauer hinweg – lernen, die Gesamtbewegung ihrer Mit- und Gegenspieler wahrzunehmen und fokussieren sich nicht nur auf eine einzelne visuelle Informationen, die über die Farbe des Leibchen gegeben ist.

Zwischenfrage: Wer mehr Informationen und Geheimnisse in der Spielweise seines Gegenspielers entdeckt und somit gelernt hat, in bestimmter Art und Weise darauf zu reagieren, hat doch in einem Fußballspiel ein gewissen Vorteil – oder was meinst Du?

Das Schöne am spielerischen Erlernen dieser Resonanzfähigkeit ist, dass deine Spieler – indem sie lernen das Verhalten des Gegenübers präziser wahrzunehmen und zu interpretieren – gleichzeitig auch ihre allgemeine Empathiefähigkeit steigt.

Im Sinne von Der kleine Lionel ist Empathie eine Vorstufe der Handlungsschnelligkeit, die selbst eine Vorstufe der Intuition ist. Spieler lernen also nicht nur das Spielverhalten des Gegenspielers genauer zu beobachten, sondern sie lernen auch dessen Gefühle einzuschätzen. Das klingt ziemlich abstrakt, aber es sind Tatsachen, die für gewisse Lernprozesse im Kinder- und Jugendalter extrem wichtig sind, auch wenn manch einer von uns sicherlich anderer Meinung sein wird.

Das Training ohne Leibchen ist definitiv eine Überlegung wert, denn: Spieler behalten (automatisch) öfters in ihrem Spielverhalten den Kopf oben und – das ist vor allem interessant – sie regulieren von selbst ihr eigenes Spielverhalten hinsichtlich ihrer Effizienz und Präzision.

Tipps zum Gebrauch im Training

Bevor Du dich als Trainer nun mit dieser neuen Idee ins Training deiner Nachwuchsmannschaft stürzt, sind ein paar Dinge zu beachten.

Das Spielen ohne Leibchen ist kognitiv sehr herausfordernd. Deswegen stelle sicher, dass sich deine Spieler zuerst an diese neue Methodik gewöhnen, indem Du sie zuerst in kleinen Spielformen (z. B. im 3 vs. 3) über eine gewissen Zeitraum anwendest. Danach kannst Du sie gerne auch in größeren Spielformen mit mehreren Spielern (z. B. im Abschlussspiel) ausprobieren.

Hast Du das Gefühl, dass das Trainieren ohne Leibchen deine Spieler weiterhin noch zu sehr fordert, dann kannst Du sogar beide Herangehensweisen miteinander verbinden und eine (Vor-) Variation nutzen.

Beispiel: Du teilst im Abschlussspiel zwei Mannschaften ein (z. B. 6 vs. 6 = Team gelb vs. Team rot). Von jeweils 6 Spielern eines Teams bekommen aber nur 3 Spieler ein Leibchen und die anderen des Teams spielen ohne. Somit erleichterst Du deinen Spielern das Trainieren ohne Leibchen.

Außerdem wird es besonders auf dein Coaching als Trainer ankommen. Es werden möglicherweise bei den ersten Anwendungen viele falsche Entscheidungen von deinen Spieler getroffen werden. Deine Aufgabe ist es dann vor allem, dass Du am Übungs- oder Trainingsende die jeweiligen Situationen mit deinen Spielern sachlich und gemeinsam reflektierst, sodass Du das Geschehene nochmal in ihr Bewusstsein holst.

Aller Anfang ist schwer, aber wenn’s einmal läuft dann …

… müssen weitere Variationen her! Sind deine Spieler mit der Zeit absolute ,,Profis‘‘ im Spielen ohne Leibchen, dann muss das noch lange nicht das Ende der Fahnenstange sein. Du kannst nämlich weitere Faktoren in ihrer Spielweise provozieren, indem Du jedem Spieler aus den beiden Teams, zwei Zahlen zuschreibst. Die Hälfte der Spieler des roten Teams bekommt die Zahlen 1 oder 3 und die andere Hälfte die Zahlen 2 oder 4 zugeschrieben. Das Gleiche bei Team gelb. Zu Beginn (und nach jedem Torerfolg) spielen alle Spieler zugehörig zu ihren Teamfarben. Die Teamzugehörigkeit ändert sich jedoch durch deinen Trainerruf mit zwei Zahlen (z. B: ,,2, 4!‘‘). Ab diesem Moment spielen alle Spieler, die vorher einer Zahl 2 oder 4 zugeschrieben wurden bis zum nächsten Torerfolg zusammen, sodass ihre Teamzugehörigkeit und ihre Gegenspieler wechseln. Du kannst die Zahlen situativ reinrufen, um somit gewisse Spielsituationen bewusst zu provozieren, ohne weitere Instruktionen deinerseits.

Bedenke auch hier: Fange einfach an und spiele diese Variation zuerst mit einer niedrigen Anzahl von Spielern in kleinen Spielformen.

Die Trainer haben die Qual der Wahl!

Genau! Denn Du als Trainer kannst von nun an entscheiden, ob die jeweilige Spielform mit oder ohne Leibchen trainiert wird. Je nachdem, welche Trainingsziele Du mit deiner Mannschaft verfolgst.

Das Trainieren mit Leibchen hat enorme Vorteile, wenn es vor allem darum gehen soll, sehr schnelle Entscheidungen seitens der Spieler zu treffen, in denen andere Faktoren weniger im Vordergrund stehen. Das Trainieren ohne Leibchen ist dahingegen schon deutlich anspruchsvoller und fordert deine Spieler kognitiv auf ihrem höchsten Niveau.

Du hast sicherlich schnell gemerkt, dass es nicht immer die allerneuste Trainingsmethodik oder das neuste Equipment benötigt, um gewisse Trainingsziele zu erreichen. Der Teufel steckt manchmal im Detail, in der Einfachheit oder einfach nur im Leibchen …

Eine nette Anekdote zum Schluss: Vor etwas längerer Zeit hatte ich mit dem Trainieren ohne Leibchen in einer U14 begonnen. Zu Beginn sagte einer der Spieler zu mir: ,,Och ne, das ist ja voll anstrengend! Da muss man ja ständig mitdenken und aufpassen!‘‘ Einige Trainingswochen und Spielformen ohne Leibchen später, trainierten wir bewusst wieder mit Leibchen. Derselbe Spieler rief mir nun vor Übungsbeginn zu: ,,Was? Mit Leibchen? Dann spielen wir ja wieder nur Fehlpässe wie früher!‘‘

Wie schnell sich Meinungen doch ändern können.

Euer Rainer von Der kleine Lionel

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Der kleine Lionel ist deine (Blog-) Website im Internet mit vielen Anregungen, Ideen und Erkenntnissen rund um das Training & Spiel im Kinder- und Jugendfußball! Die Herzensziele von Der kleine Lionel sind dabei: Wissen zu teilen, Anregungen zu schaffen und für verschiedene Themenbereiche zu sensibilisieren Die Inhalte richten sich in erster Linie an alle Kinder- und Jugendfußballtrainer im deutschsprachigen Raum. Darüber hinaus interessiert sich Der kleine Lionel für die vielfältigsten Schnittstellen zwischen Gesellschaft und dem (Fußball-) Sport. Dank der Themenvielfalt werden auch Trainer anderer Ball- und Spielsportsportarten, Pädagogen sämtlicher Richtungen, Eltern und Allgemeininteressierte auf ihre Kosten kommen. Die Verantwortung liegt bei uns Trainern und Erwachsenen, die Kinder und Jugendlichen beim Spielen und Lernen im Fußball – und fernab davon – bestmöglich zu begleiten. Wenn auch Du als Nachwuchstrainer dieses Ziel mitverfolgen willst, dann: Bleib am Ball!

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Ein Gedanke zu „Gastbeitrag: Trainier doch mal ohne Leibchen…

  1. Renate

    Das ist ja ein schön geschriebener Artikel, den werde ich mal meinem Sohn zusenden, der spielt jetzt seit zwei Jahren im Dorfverein und ist ganz fußballverrückt. Und die kognitiven Fähigkeiten des eigenen Nachwuchses zu fördern, ist ja immer eine gute Idee für Mama und Papa, oder?

    Hm, wobei…

    Ob man den Trainer natürlich überzeugen kann, auf die Leibchen zu verzichten, auf denen schließlich die Namen der Sponsoren stehen, steht auf einem andern Blatt. Vielleicht darf er sich dabei beim Trainieren dann nicht erwischen lassen. 😉

    Noch eine Idee am Rande: Die Herausforderung für die Spieler kann man noch erhöhen, in dem man statt alle ohne Leibchen spielen zu lassen, allen solche Leibchen in unterschiedlichen Farben anzieht. Stellt euch mal vor, man würde die Spieler in der ganzen Regenbogenpalette der hier abgebildeten Trikots spielen lassen: http://www.sportpaint.de/uploads/tx_csprodukte/universalleibchen_2011.gif – dann würde die kognitive Herausforderung noch mehr erhöht, weil die Spieler sich gegen unterschiedlichste Farbwirkungen „wehren“ müssen:

    – „rot“ muss nicht „vorsicht“ oder „feindlich“ heißen
    – „grün“ muss nicht automatisch „grünes Licht“ heißen
    – wenn zum Beispiel ein Spieler vom eigenen Team ein Hemdchen in dunkelgelb, ein andere vom Gegner-Team in gelb an hätte, müssten die anderen Spieler auch aufs genaueste Detail achten beim abspielen des Balles

    Aber das sind einige Beispiele. Ich denke mal, ein so kunterbuntes Spieler-Feld würde für manche Verwirrung aber auch für manche interessante Lektion sorgen… 😉
    LG Renate

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