Warum der Umschaltfußball für die Nachwuchsausbildung eine Katastrophe ist!

Die WM hat gezeigt, dass der Ballbesitzfußball veraltet und der Umschaltfußball modern und damit auch erfolgreich ist. So zumindest die weit verbreitete Analyse vieler Experten. Schließlich hat der Weltmeister Frankreich mit einem Ballbesitzanteil von 36% und 34% im Halbfinale und Finale jeweils einen Sieg eingefahren und gezeigt, was die angeblich effizienteste und modernste Art Fußball zu spielen ist. Doch wie so oft leider im Fußball ist dies eine viel zu extreme Sichtweise der Dinge. Man kann dies einfach nicht verallgemeinern. Das passiert aber zum großen Teil und das Fatale daran: der Umschaltfußball wird ab sofort auch im Jugendbereich bereits in den jungen Jahrgängen praktiziert. Schließlich ist er erfolgreich, was die WM ja gezeigt hat. Für die Ausbildung von Kindern und Jugendlichen jedoch ist er schlicht der falsche Weg!

Das ein Profiverein oder eine Nationalmannschaft sich für den Umschaltfußball entscheidet, ist natürlich legitim. Eine reine Philosophiefrage, ob ich nun damit oder mit dem Ballbesitzspiel versuche, Spiele zu gewinnen. Frankreich z.B. hat körperlich starke defensive Spieler, mit denen sie sich gut zurückziehen können. Und durch Spieler wie Mbappé, Griezmann oder Dembelé ist es ihnen möglich, schnell umzuschalten und mit viel Tempo zu kontern. So waren und sind sie erfolgreich. Obwohl man nicht weiß, ob sie mit dieser technischen und athletischen Qualität der Spieler, die Frankreich ohne Zweifel hat, auch mit attraktivem Ballbesitzspiel erfolgreich sein hätte können. Aber das ist ein anderes Thema.

So jedenfalls hat Frankreich seine Stärken in Form von Umschaltfußball ausgenutzt und ist Weltmeister geworden. Und genau das nehmen sich auch im Jugendfußball nun als Vorbild und kopieren dies. Doch diese Art zu spielen darf im Ausbildungsbereich nicht das Ziel im Jugendfußball sein. Auf gar keinen Fall. Man kann nicht einfach von Herren- auf Ausbildungsfußball schließen! Denn die jungen Kicker sollen nicht nur ihre Stärken verbessern, sondern v.a. auch ihre Schwächen schulen. Und dies muss ganzheitlich v.a. im technischen und koordinativen Bereich sein. In den ersten Jahren von der F- bis zum Ende der D-Jugend ist das zwingend Pflicht. Und das geht nur über das Spiel MIT Ball, also wenn die Kinder den Ball haben und ALLE das ausprobieren dürfen, was sie im Training hoffentlich gelernt haben. Wenn die Spieler dann gut ausgebildet sind, dann können sie in der U17 oder U19, wenn es dann natürlich auch um den Erfolg geht, gerne auch Umschaltfußball spielen. Aber dann können sie eben Beides spielen und sind auch je nach Gegner variabel. Lasse ich junge Spieler z.B in einer E-Jugend nur Umschaltußball spielen, kann eine breite technische Ausbildung gar nicht stattfinden – mittelfristig wird so ein technisch limitierter Spieler erzogen. Warum ist das so?

Dazu muss man sehen, wie der Umschaltfußball bei den Kleinsten von ihren Trainern interpretiert wird. Sie stellten ihren stärksten, größten oder schnellsten Spieler (meist eine Mischung aus allem) in den Sturm und schlagen lange Bälle auf ihn. Der rennt hinterher und feuert auf das Tor oder legt ab und dann wird schnell abgeschlossen. So läuft das meistens ab.  Bei dieser Taktik haben genau zwei oder drei Spieler der Mannschaft etwas vom Spiel: der Torwart oder ein Verteidiger, der lernt, den Ball lang zu schlagen. Dies geschieht aber meist ohne eine saubere Technik und daher meist schlampig.  Und der Stürmer, der diese Bälle verarbeitet. Die v.a. technische Ausbildung der gesamten Mannschaft wird aber logischerweise stark vernachlässigt. Wie soll das auch passieren, der Ball ist oft in der Luft oder es kommt zu vielen Pressbällen. Viele individuelle Dribblings, Tricks und schöne Pässe jedoch findet man kaum.

Es mag sein, dass der Umschaltfußball für das Ergebnis des Spiels die richtige Taktik ist. Denn wenn man keinen Spielaufbau betreibt und die Kinder auch sonst nichts technisch ausprobieren lässt, dann macht man natürlich kaum Fehler im Spielaufbau und kassiert so wenig Gegentore.

Doch genau dies darf doch nicht das Ziel einer Jugendfußballmannschaft sein. Die jungen Spieler sollen doch ausgebildet werden. Um später eben beides spielen zu können, je nachdem welchen Trainer er dann hat und von was dieser überzeugt ist. Denn in einem Jugendspiel im Ausbildungsbereich gilt der gleiche Grundsatz wie im Training: Je mehr Wiederholungen ein Spieler hat, desto schneller lernt er und durch viel Ballbesitz haben die Spieler mehr Aktionen. Nochmal: das reine Konterspiel ist einfacher und einseitiger als der Ballbesitzfußball. Wenn ein Spieler die ganze Jugend nur dieses System gespielt hat und nur das gewohnt ist, dann wird er bei einem späteren Trainer, der andere Anforderungen stellt, technisch und damit auch taktisch klar überfordert sein. Er steckt in einer Schublade fest, in welche er viel zu früh reingesteckt wurde.

Besonders in jungen Jahren ist es wichtig, dass die Spieler möglichst breit ausgebildet werden, denn in der Zeit lernen sie noch am schnellsten und sollten daher viele Freiheiten haben, damit sie sich auch entfalten können. Ab der C- oder B-Jugend können und sollten die Spieler dann natürlich auch auf den Herrenbereich vorbereitet werden und die Taktik kann und sollte dann auch mehr auf einen Sieg Stück für Stück angepasst werden. Dann eben auch gerne mal mit Umschaltfußball.

Noch mal zurück zur Konsequenz aus der WM, dass der Umschaltfußball bei den Profis und leistungsorientierten Amateuren angeblich nur noch der einzig richtige Weg ist: letztendlich kann man einfach nicht sagen, dass der Ballbesitzfußball veraltet ist. Das Problem ist nur, dass er oft einfach falsch gespielt wird. Oder technisch limitierte Spieler ihn spielen sollen und das eben gar nicht können, weil sie technisch zu schlecht ausgebildet wurden. Deutschland hat phasenweise den Ball statisch ohne Überraschungsmomente zirkulieren lassen, ohne dass etwas dabei rumgekommen ist. Was ihnen gefehlt hat, waren Spieler, die durch einen Sprint oder einer Finte, einem technischen Überraschungsmoment, z.B. in die gefährlichen Räume im Sechzehner kommen. Spieler, die technisch in der Lage sind, Passwege zu öffnen und so für gefährliche Schnittstellenpässe sorgen. Gerade gegen rein defensive Gegner, die leidenschaftlich und diszipliniert verteidigen und kaum Räume preisgeben. Manchester City ist ein Beispiel, dass der Ballbesitz Fußball auch im Herrenbereich noch nicht veraltet ist. Sie spielen seit Saisonbeginn unverändert mit viel Ballbesitz und haben in der Liga als auch in der Champions League damit Erfolg. Weil sie eben technisch geniale Spieler an Bord haben, die das können. Weil sie irgendwann mal so ausgebildet wurden!

Also bitte: KEIN UMSCHALTFUßBALL ALS AUSBILDUNGSFUßBALL! 

Eine gute Fußballzeit!

Euer Michi

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2 Gedanken zu „Warum der Umschaltfußball für die Nachwuchsausbildung eine Katastrophe ist!

  1. Ecoeur Pierre

    Bravo, toller Artikel, leider meinen vielen Jugendtrainer immer die aktuellen Trends bei den ‚Grossen‘ folgen zu müssen und nur den schnellen Erfolg suchen, anstatt der Ausbildung zu priorisieren,

    Sportliche Grüsse aus der Schweiz
    Pierre Ecoeur

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  2. Hanne

    Wenn die letzten Jahre eines gezwigt haben, dann dass Trends wie Ballbeaitzfußball, Konter- oder Umschaltfußball immer nur eine bestimmte Zeitspanne erfolgreich sind, nämlich so lange, bis eineerfolgereiche Gegentaktik gefunden wurde. Auch deshalb, macht es keinen Sinn, eine Taktik bereits im Kinder- oder Jugendfußball zu verankern. Wenn die Kids in den Herrenbereich vorstoßen, ist diese Spielweise u. U. längst wieder „Out“. Auch deshlb ist es wesentlich besser, im Grundlagen- und Aufbaubereich viel allgemeiner und differenzieller Auszubilden, also zunächst eine möglichst breite Basis mit Fertigkeiten und Techniken zu schafffen. Das bezieht das Wettspiel natürlich mit ein. Dort muss taktisch so gespielt werden, dass die zuvor im Training geübten Techniken auch angewendet werden können (dürfen). Das ist der Job eines jeden Jugendtrainers und sollte eigentlich selbstverständlich sein.

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