Taktik als Spiel – Teil 2

In unserem ersten Teil haben wir kurz die Hintergründe zur spielerischen Schulung des taktischen Verständnisses und der Spielintelligenz bei Kindern erklärt. Nun wollen wir im zweiten Teil auf das WIE eingehen. Wie bringen wir Kindern denn nun taktischen Fußball bei? 

Taktiktafel und Videoanalyse helfen uns bei Kindern in der G- und F-Jugend, die noch nicht einmal richtig lesen und schreiben können, nicht weiter. In der Fußballschule verfolgen wir daher einen spielerischen Ansatz, um Kinder für taktische Aufgaben zu sensibilisieren ohne sie zu überfordern. Bereits gegen Ende des Fußballkindergartens beginnen wir mit sogenannten Provokationsregeln taktisches Verhalten spielerisch zu schulen. Was sind Provokationsregeln? Es handelt sich dabei um Regeln, mit denen wir die allgemeinen Spielregeln erweitern, um bei den Kindern ein ganz bestimmtes gewünschtes Verhalten auf dem Platz durchzusetzen.

Ein Beispiel: Bis in die E-Jugend hinein neigen Verteidiger dazu, an der Strafraumgrenze auf die gegnerischen Stürmer zu warten, statt die eigene Mannschaft an der Mittellinie im Angriff zu unterstützen. Sie nehmen so oft minutenlang nicht am Spiel teil. Man kann sich nun als Trainer die Mühe machen, die Verteidiger in jedem Spiel aufzufordern bis zur Mittellinie aufzurücken. Das ist sehr mühsam, weil man es  immer und immer wieder tun muss. Oder aber, man formuliert vor dem Spiel eine Provokationsregel: Tore können nur noch dann geschossen werden, wenn sich alle Spieler einer Mannschaft jenseits der Mittellinie befinden. Man wird sehen, dass sich bereits nach dem zweiten oder dritten nicht gegebenen Tor die Einstellung der Verteidiger hinsichtlich der Vorwärtsbewegung massiv verbessern wird. Und das ganz von allein (und vielleicht auch ein wenig auf Druck der Stürmer, die unglücklich sind, dass ihre Treffer nicht zählen).

Doch was machen wir mit faulen Stürmern, die nicht bereit sind in der Defensive mitzuarbeiten? Ganz einfach: Tore zählen doppelt, wenn sich noch ein Spieler in der Hälfte des Gegners aufhält. Und schon hat man viel mehr Bewegung und Aktion in so einem Spiel. In der Regel muss man nach fünf Minuten eine Pause machen, um die Kinder kurz durchschnaufen zu lassen. Mit solchen Provokationsregeln kann man den Kindern zahlreiche taktische Aufgaben mit auf den Platz geben. Ganz ohne komplizierte Videoanalyse, wie man sie aus dem Fernsehen kennt, und ohne die abstrakte Taktiktafel (die kommt erst an anderer, alterstechnisch späterer Stelle zum Einsatz).

Mit Provokationsregelen können wir also gewisse taktische Grundverhaltensweisen schulen, ohne die Kinder in einem reinen Taktiktraining zu langweilen und ohne sie zu überfordern. Weitere mögliche Provokationsregeln können sein:

Der Torwart darf den Ball nicht über die Mittelinie spielen

So verhindert man, dass der Ball bei wirklich jeder Situation einfach ins Feld gebolzt wird – die Gefahr, dass keines der Kinder einen wuchtigen Abschlag kontrollieren kann, ist bis in die F-Jugend hinein recht hoch – und  animiert die Kinder zu einem geordneten Spielaufbau. Am Anfang wird diese Provokationsregel zu sehr vielen Gegentoren führen, da der Spielaufbau für die verteidigende Mannschaft schwieriger ist als die Balleroberung für die angreifende Mannschaft. Doch je öfter sich die Kinder mit dieser Spielsituation auseinandersetzen und vom Trainer Lösungen angeboten bekommen, je öfter die Kinder diese Spielsituation trainieren, desto besser werden sie sie in Zukunft meistern.

Tore können erst geschossen werden, wenn der Ball in einen bestimmten Abschnitt des Feldes gewesen ist.

Hierfür arbeiten wir auf einem Feld, in dem mit Hütchen Vierecke markiert sind. Um den Kindern beizubringen, in die Breite zu spielen, geben Sie die Regel vor, dass Tore erst dann geschossen werden können, wenn der Ball ein Viereck an der Außenbahn durchlaufen hat. Wenn Sie zusätzlich Flankenwechsel einstudieren wollen, muss der Ball Vierecke an beiden Außenbahnen durchlaufen, ohne dass der Gegner zwischendurch den Ball erobert hat.

Tore können erst nach geschossen werden, nachdem jeder Spieler einer Mannschaft den Ball mindestens einmal berührt hat.

Mit dieser Provokationsregel animieren Sie ihre Kinder auf Ballbesitz und miteinander zu spielen. Die Kinder müssen sich permanent freilaufen und anbieten und ein Auge für ihre Mitspieler haben, wenn sie zum Torerfolg kommen wollen. Ist die Provokationsregel noch zu schwer umzusetzen, reduzieren Sie die Anzahl der Spieler mit Ballberührungen soweit, dass die Übung nicht zu leicht wird und die Kinder sich Tore immer noch hart erarbeiten müssen.

Tore können erst geschossen werden, wenn der Ball mit einem Trick „scharf“ gemacht wurde.

Provokationsregeln helfen uns auch, die Kinder zu animieren, gelernte Tricks und Finten im Spiel anzuwenden. Einen Trick oder eine Finte in einer Übung ohne Gegnerdruck einzustudieren ist die eine Sache. Ihn im „Ernstfall“ auf dem Feld zu zeigen, eine ganz andere. Mit der Regel, dass Tore im Trainingsspiel nur zählen, wenn der Ball zuvor mit einem Trick, beispielsweise einer Schussfinte oder einer Sohlenwende, „scharf“ gemacht wird, zwingen wir die Kinder Tricks im Spiel auszuprobieren.

Eine Taktiktafel kann ab der F-Jugend zum Einsatz kommen. Am besten vor dem Spiel und vielleicht auch mal kurz in der Halbzeitpause. Im Training hat die Taktiktafel nichts verloren. Die Aufnahmefähigkeit der Kinder ist in diesem Alter zwar noch begrenzt, aber grobtaktische Verhaltensweisen wie das Nachschieben und das Verschieben auf die ballnahe Seite lassen sich bereits gut erklären. Man zeigt nur kurz die Spielsituationen auf und erklärt das gewünschte Verhalten. Man vereinbart  außerdem Codewörter wie „Nachschieben“, wenn die Verteidiger aufrücken sollen oder „Zum Ball schieben“, wenn sich alle Spieler an einem Pressing beteiligen sollen. Länger als 5-10 Minuten sollte die Arbeit mit der Taktiktafel nicht dauern. Überlegen Sie sich vorher genau, welche Spielsituationen Sie ansprechen wollen. Mehr als zwei bis drei sollten es nicht sein.

Auch die Taktiktafel muss man lernen. Die Kinder müssen sich erst an die Perspektive der Taktiktafel gewöhnen. Ein weiteres Argument für die Taktiktafel ist, dass Sie als Trainer konkret sind. Ohne Tafel bleiben ihnen sonst nur die üblichen Parolen wie „kompakt stehen“, „Gas geben“ oder der Klassiker „Heute geben wir 120 Prozent“.  Eine solche Form der Motivation nutzt sich schnell ab und hilft nicht, die Sinne der Kinder für Spielsituationen zu schärfen. In der Halbzeitpause gibt einem die Tafel bei Bedarf die Möglichkeit, den Kindern ein unmittelbares Feedback zu geben, ihnen zu sagen, was sie gut gemacht haben und was sie noch besser machen können.

Dass sich die Kinder an die Taktiktafel gewöhnt haben, erkennt man daran, dass die Kinder anfangen, die Hinweise des Trainers zu hinterfragen und alternative Laufwege oder Lösungen vorschlagen. Es ist wunderbar zu sehen, wie die Kinder das abstrakte Bild der Taktiktafel auf den Platz bringen. Das ist auch gut so, denn auch taktisch müssen sich die Kinder weiterentwickeln. Bis zur D-Jugend sollten Kinder das Grundgerüst Angreifen und Verteidigen verstanden haben. In der C-Jugend kommen dann unterschiedliche Spielsysteme und Varianten im Spielaufbau hinzu.

Provokationsregeln sind also ein mögliches  Element, das uns in unserem Training hilft, das taktische Verständnis von Kindern zu entwickeln. Welche Ansatzpunkte gibt es noch? Schreibt uns doch mal Eure Tipps und Ideen, wie ihr an diese Thematik herangeht.

Bis dahin eine gute Fußballzeit!

Euer Michi

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