Stagniert die deutsche Nachwuchsförderung? – Ein Kommentar

Auf der Internetseite des Fußballmagazins 11FREUNDE habe ich einen Artikel über die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Nachwuchsarbeit gefunden. Überholt von England? – so der Titel des Berichts mit der kritischen Zusatzfrage, ob denn die deutsche Nachwuchsförderung stagniert (veröffentlicht am 05.06.2018 von Stefan Hermanns). So ein Artikel interessiert uns natürlich sehr. Dabei gibt es ein paar Argumente und Schlussfolgerungen, die unser Meinung nach nicht ganz richtig sind. Ein Kommentar…

Der Artikel beschreibt im Prinzip das, was wir seit Jahren immer wieder sagen. Der deutsche Fußball muss aufpassen, den Anschluss nicht zu verlieren. Als Beispiel wird gleich zu Beginn die U17 Europameisterschaft hergenommen. Die U17 schied dort als Gruppendritter in der Vorrunde aus. Die Spiele gegen Holland und Spanien wurden 0:3 und 1:5 verloren. Frank Kramer, der aktuelle Trainer der U20 Nationalmannschaft, war als Spielbeobachter des DFB vor Ort und sprach hinterher von grundlegenden Mängeln und nicht von Pech oder Zufall. Die U17 Teams der Bundesligaklubs holen vermehrt ausländische Spieler , weil sie angeblich diese mit ausreichend Qualität in der eigenen Region geschweige denn im eigenen Land nicht mehr finden, so der Artikel.

Aber es geht doch unserer Meinung nach nicht um das Finden von Spielern mit ausreichend Qualität. Es gibt doch genügend Talente in Deutschland. Diese werden halt nur nicht gut genug ausgebildet. Dazu haben wir schon viele Artikel hier veröffentlicht. Die Spieler in den U17 und U19 NLZ-Vereinen haben zu einem sehr großen Teil einfach viel zu große technische und auch koordinative Defizite. Und das ist nun Mal die Basis erfolgreichen Fußballspielens. Und sowohl Technik als auch Koordination ist auch eine Frage der Ausbildung. Und die braucht Zeit und top qualifizierte, hauptamtliche Trainer bereits in den jungen Jahrgängen. Und die braucht keinen „Erfolgsdruck“, d.h. die Spieler müssen sich zwingend in den Spielen ausprobieren dürfen und nicht bereits in der E-Jugend taktisch gut stehen, damit mit man ja das Derby nicht verliert. Das Ergebnis muss zweitrangig sein. Und sie braucht unser Rotationsprinzip usw…

Daher stimmt auch die Aussage von Joachim Löw, welche im Artikel wiedergegeben wird, nicht: „Viele glauben, in Deutschland gäbe es Talente wie Sand am Meer. Das stimmt nicht.« Nochmal: Doch! Es gibt genügend Talente! Wir müssen sie nur ausbilden! 

Und es werden die falschen Schlüsse gezogen. Wenn der DFB dann sagt, das sei ein schlechter Jahrgang oder dass man halt mal eine kleine Durststrecke in der aktuellen U17 habe, dann ist das schlicht fahrlässig. Wir können den Satz des schlechten Jahrganges wie bei einer Weinsorte nicht mehr hören. Es gibt nur bedingt einen schlechten Jahrgang, es gibt nur eine qualitativ minderwertige Ausbildung und es gibt nicht genügend Know How im Ausbildungsbereich. Auch dazu haben wir schon einen Artikel hier verfasst und dies am Beispiel des FC Bayern festgemacht. Und wenn vor Kurzem uns ein NLZ Mitarbeiter erzählt, dass die Kinder von heute einfach auch zu unsportlich sind und man die ja gar nicht mehr richtig ausbilden kann, dann können wir das so nicht stehen lassen. Erstens stimmt das so oft gar nicht, zumindest nicht in den NLZ Vereinen. Wenn man sich dort Spiele im Kleinfeldbereich ansieht, dann sind dort fast durchgehend schnelle, wendige und sportliche Kinder zu finden. Denn genau danach werden sie ja auch u.a. gescoutet. Und zweitens ist dies natürlich ein gewisser gesellschaftlicher Trend, der sich aber v.a. an der Basis immer mehr bemerkbar macht. Aber auch hierfür gibt und gäbe es Lösungen, die aber an dieser Stelle nicht diskutiert werden sollen. Dazu werden wir in den kommenden Tagen einen weiteren Artikel schreiben.

In den NLZ Vereinen jedenfalls haben die meisten Kinder eine gute Grundsportlichkeit. Diese muss nun nur durch gute und konsequente Ausbildung genützt werden. Frank Kramer geht dazu in dem 11FREUNDE Artikel auch auf die Trainerproblematik in den NLZ Vereinen ein. Er sagt zu recht, dass die hauptamtlichen Trainer in einem NLZ in erster Linie an ihrer Karriere interessiert sind und auf einen Job im Profibereich schielen. Einen D1 Trainer, der diesen Job 20 Jahre macht und im besten Fall noch eine Ausbildung dafür hat und somit ein absoluter Spezialist für diese Altersklasse des goldenen Lernalters ist, den gibt es heut nicht mehr, findet Kramer.

Das ist natürlich richtig. Aber es wird die Frage nach dem Warum nicht beantwortet. Ein A-Lizenz Trainer mit z.B. auch noch sportwissenschaftlicher Ausbildung, der für 450 Euro in einem NLZ die E-Jugend mit einem großen zeitlichen Aufwand trainiert, der kann ja nur Eines im Sinn haben: möglichst schnell nach oben zu kommen, um mehr zu verdienen. Natürlich sucht er dabei seine Karrierechance. Wovon soll er denn sonst leben? Dass Trainer in den wichtigen Ausbildungsjahrgängen für nur 450 Euro angestellt sind, ist eines der Dinge, die kaum zu verstehen sind. Dafür einen top qualifizierten Trainer zu bekommen, geht ja gar nicht. Im Umkehrschluss heißt dies genau das, was Frank Kramer dann feststellt. Die besten Trainer und Spezialisten für Jugendausbildung findet man entweder in den jungen Jahrgängen nicht mehr oder sie suchen ihr Glück dort nur kurz, um schnell ganz nach oben zu kommen. Es braucht also zwingend hauptamtliche Trainer auch bei den ganz jungen Kickern und die müssen super bezahlt werden. Dann haben viele gar kein Interesse auf einen Job im Profibereich, wo der Druck ja enorm und die Halbwertszeit gering ist. Wenn man dann noch wie oben erwähnt auf das Gewinndenken verzichtet und rein ausbildungsorientiert denkt und der Trainer einfach nur Jugendausbilder sein darf, dann ist das ein richtig attraktiver Job, für den sich sicherlich auch viele Nagelsmänner und Tedescos interessieren würden.

Der Artikel erzählt auch davon, dass Frank Kramer sich in der Jugendakademie des FC Barcelona umgesehen hat. Schließlich haben die Profis dort mit das beste Passspiel weltweit. Dabei hat er festgestellt, dass dort kaum Passübungen trainiert werden, sondern dies fast ausschließlich in Spielformen geübt wird. Er sagt, dass die vielen Passübungen ja alle ohne Gegnerdruck stattfinden und damit ja im Spiel dies gar nicht funktionieren kann. Daher müsse man die Kinder einfach mehr kicken lassen.

Das ist auch nur zum Teil die halbe Wahrheit. Denn erstens müssen die Spieler zeitgleich viel Techniktraining bekommen, viele Tricks üben und ständig im Training den Ball am Fuß haben, damit die technische Qualität auf ein bestmögliches Niveau gehoben wird und damit sich im Zuge dessen auch das Ballgefühl perfektioniert. Nur dann ist sauberes Passspiel möglich. Das ist die Grundvoraussetzung. Und genau das passiert in Deutschland zu wenig. Stichwort: Bereits in der F-Jugend lange Bälle auf den schnellen Stürmer, der aus allen Lagen schießt (was wiederum mit dem Erfolgsdenken begründet werden kann). Und genau diese technische Qualität und dieses unglaubliche Ballgefühl wird ihnen in Barcelona durch entsprechendes Techniktraining beigebracht. Und so rollt der Ball auch in Spielformen sauber über den Rasen und fliegt nicht auf Schienbeinhöhe durch die Gegend.

Zweitens sind Passübungen per se nicht verkehrt. Nur sind diese in Deutschland oft überhaupt nicht spielnah, sondern sehr statisch. Motto: Anspielen – Klatschen lassen – Passen – Klatschen lassen usw. Dies wird dann in die Spielformen und ins Spiel übertragen. Und genau so sieht das dann aus. Schnelles und meist unsauberes Direkt- oder Zweikontaktspiel mit Fehlpass oder Ballverlust nach maximal 5 Pässen, weil der Raum für den Pass gar nicht gegeben oder offen war. Oder es wäre überhaupt nicht nötig gewesen zu passen. Das meint Frank Kramer mit der mangelnden Funktionalität unter Gegnerdruck.

Die Passübungen jetzt aber zu streichen und nur noch spielen zu lassen ist auch nicht richtig. Denn diese Passübungen sind neben der technischen Qualität der Spieler die zweite Voraussetzung für ein gutes Passspiel im Wettkampf. Dafür müssen sie so spielnah wie möglich organisiert werden.  Es müssen dabei Tricks, Sohlenwenden, Schussfinten, Ballannahmen, Abkappbewegungen , Standtricks usw. eingebaut werden. Dabei muss man den Spielern erklären warum es so wichtig ist, das Passspiel nicht isoliert zu trainieren. Im Spiel ist der Passweg oft zu und nun braucht es Techniken, um diesen zu öffnen, bevor der Spieler da reinspielt, um nicht hängen zu bleiben. Im modernen Fußball ist dies unverzichtbar. Passübungen mit möglichst viel Spielwitz als Überbegriff und ein gutes Ballgefühl durch viel Techniktraining sind die Basis für die vielen Spielformen, in denen dann das Passen spielnah trainiert wird. Dabei müssen die Trainer die Spielformen steuern und die Kinder verbal immer wieder an die gelernten Techniken in den Passübungen erinnern.

Und es braucht auch zwingend eine klare Korrektur in der Passtechnik. Ich muss den Kindern erklären, warum der Ball über das Feld mit hoher Geschwindigkeit hoppelt und von seinem Mitspieler nicht angenommen werden kann. Kommandos wie „schärfer“, „druckvoller“ oder „präziser“ bringen niemanden weiter. Dafür braucht es aber wieder die besten Trainer mit der besten Ausbildung in den Ausbildungsjahrgängen. Und die müssen auch gut kicken können. Nur so können sie Ihre Erfahrungen und ihr Wissen weitergeben.

Der Artikel weist auch nochmal auf die Aussagen von Hansi Flick oder Mehmet Scholl hin, die die unzureichende technische Qualität der älteren Spieler im 1 gegen 1, im Dribbling oder in Ballannahmen und Ballmitnahmen anprangerten. Eine Tatsache, die wir seit Jahren kritisieren. Dazu empfehlen wir unsere Artikel zu Hansi Flick oder zu Mehmet Scholl.

Es wird dann auch noch Oliver Bierhoff zitiert, der feststellt, dass es vor einigen Jahren noch sechs oder sieben herausragende Talente pro Jahrgang gegeben habe, heute seien es nur noch zwei oder drei. Das ist richtig und zeigt erneut, dass sich an der Ausbildung in Deutschland was ändern muss. Denn diese zwei oder drei Toptalente sind doch zu wenig, wenn ein Kader einer U19 Bundesligamannschaft aus ca. 20 Spielern besteht und dort die Elite der Region oder sogar aus ganz Deutschland gebündelt ist. Und es gibt ja nicht nur eine U19 Bundesligamannschaft. Es gibt ja mehrere Staffeln mit vielen Teams und wenn hier von Beginn an gut ausgebildet werden würde, dann müssten locker mehr als 2 oder 3 Leroy Sanés pro Jahrgang rauskommen. Dies also an einem schlechten Jahrgang oder an ähnlichen Argumenten festzumachen, ist nicht haltbar.

Dass die Nationalmannschaft darunter erstmal nicht so sehr leidet ist klar. Denn diese zwei oder drei Toptalente pro Jahr reichen, um die Qualität des A-Teams auf hohem Niveau zu halten. Zumindest für den Moment. Zumal diese Spieler dann auch in den besten Ligen der Welt spielen. Nur die Bundesliga, der internationale Vergleich der Bundesliga Teams, die Qualität der 2. und 3 Bundesliga – die leidet massiv darunter. Denn die fußballerische Qualität lässt dadurch in diesen Ligen automatisch nach. Und die paar wenigen besten Spieler werden für viel Geld aus der Bundesliga weggekauft. Gäbe es aber pro Verein pro Jahrgang sagen wir mal fünf klasse Spieler mit Bundesliga Niveau, dann können gerne zwei davon ins Ausland wechseln. Damit lässt sich dann ja auch gut Geld verdienen, welches man wiederum zu einem Teil in die Ausbildung stecken kann. Die anderen drei bleiben aber erstmal in Deutschland und werten den deutschen Fußball insgesamt und damit auch die Marke Bundesliga enorm auf. Denn wir alle schauen einem Leroy Sané wirklich gerne zu – egal welche Vereinsbrille wir dabei tragen. Wir erfreuen uns auch einfach an seiner Art zu spielen. Wir wollen mehr davon! Auch wenn Jogi Löw das aktuell anders sieht;)

Eine gute Fußballzeit!

Euer Michi

Ein Gedanke zu „Stagniert die deutsche Nachwuchsförderung? – Ein Kommentar

  1. Oliver Bartels

    Die Zwangs-Verbands-Trainerausbildung ist zu schlecht, was eine Konsequenz der Eigenbrötelei der Verbände ist. Sind wir doch ehrlich, wodurch sind die „Ausbilder“ qualifiziert: Dadurch, dass sie bzw. ihre Referenten durch Delegierte gewählt wurden! Uni ? Fehlanzeige. Akkreditierung der Lehrgänge ? Auch Fehlanzeige. Das gilt so bis zum „Fußball-Lehrer“, alles bestenfalls EQR4. An der Uni hätten die „Ausbilder“ wenigstens Kenntnisse über Bewegungswissenschaft, Trainingswissenschaft oder Didaktik mitgenommen, was viel wichtiger wäre, als sinnfrei Systeme zu pauken oder sogar (Tatsache in einem Lehrgang!) den Aspiranten zu erklären, man solle ja nie einen Fehler vor der Mannschaft zugeben, das würde die eigene Autorität untergraben. Die kommen halt alle aus dem eigenen Sumpf, ohne wirkliche Querverbindung zur Sportwissenschaft. Das Trainerlizenzsystem des DFB dürfte so, wie es aktuell aussieht, eh nicht zu halten sein, es ist ein knallharter Verstoß gegen 101ff. AEUV, §19 ff. GWB und wegen der Drittwirkung der Grundrechte auch gegen §12 GG und die Grundfreiheiten der EU. Zudem kommt, dass die geforderte „Ausbildung“ für „Lizenztrainer“ im Grunde keine ist. Es kann nicht mehr lange dauern, bis die Verbände damit auf die Nase fallen und das kartellrechtlich untersagt wird.

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