Quo vadis Deutschland?

Heute Abend spielt Deutschland in Frankreich. Nach dem Holland Spiel kann man leider aktuell nicht allzu euphorisch sein. Es gibt einfach zu viele Baustellen, die momentan erfolgreichen und vor Allem überzeugenden Fußball verhindern. Seit der WM hat sich auch kaum was geändert, obwohl der DFB nach dem schlechten Abschneiden in Russland eigentlich seine Lehren daraus ziehen wollte und unbedingt hätte müssen. Passiert ist wenig bis nichts. Wir fanden die Analyse von Jogi Löw und seinem Team schon sehr schwammig und wenig aufschlussreich. Entweder wollte man nichts sagen oder man weiß es einfach nicht besser. Wir wollen hier mal die Probleme offen ansprechen. Eine Analyse einer Situation, die eigentlich schon länger in ihrer Entwicklung vorhersehbar war.

Vorneweg muss man sagen, dass Deutschland seit 2006 durchweg auf einem hohen Niveau gespielt hat. In allen großen Turnieren waren sie mit vorne dabei. Dafür gibt es wie immer bei einer Nationalmannschaft mehrere Gründe. Deutschland im Speziellen hatte in den letzten Jahren einen super Kader, der durch einen starken Bayern-Block geprägt war. Und dieser Bayern-Block hat sich stetig in seiner Qualität durch die entsprechenden Vereinstrainer weiterentwickelt. Pep Guardiola hatte da unserer Meinung nach zwischen 2013 und 2016 den größten erkennbaren Einfluss auf die Spieler.

In dieser Zeit haben sich die Spieler am meisten entwickelt und spielten einen richtig guten Fußball. Diese Art zu spielen haben sie in die Nationalmannschaft natürlich übertragen, sie waren es durch Guardiolas Art so gewöhnt. Und wenn man ehrlich ist: in dieser Zeit hat sich die ganze Bundesliga weiterentwickelt. Viele Trainer haben sich entweder was abgeschaut oder sie haben versucht, Ideen gegen diese dominante Spielart zu entwickeln. Zwangsläufig wurden alle Spieler in der Bundesliga und damit in der Nationalmannschaft besser. Dazu kamen die Spieler, die im Ausland auf höchstem Niveau bei den besten Trainern der Welt spielten.

Jogi Löw war dann auch der richtige Trainer dafür. Er musste nun diesen Haufen von qualitativ sehr guten Spielern zu einer NationalMANNSCHAFT formen und sie führen. Dafür war er der perfekte Mann. Natürlich hat er auch seine eigenen Ideen mit reingebracht, das konnte man deutlich erkennen. Die ein oder andere Aufstellung hat schon 2014 für ein Stirnrunzeln gesorgt. Man erinnere sich an das Algerienspiel, das man eigentlich verlieren muss. Die Idee, gegen eine lauf- und konterstarke Mannschaft, wie Algerien es war, mit vier Innenverteidigern von Beginn an zu spielen, wird uns auf ewig unverständlich bleiben. Die Quittung hätte man fast bekommen. Aber mit viel Glück, einer starken kämpferischen Leistung einiger Spieler und einem Manuel Neuer in Bestform konnte das frühzeitige Ausscheiden verhindert werden.

Trotzdem: Jogi Löw brachte in Summe im Prinzip seit 2006 zusammen, was zusammen gehört und auch dadurch wurde Deutschland auf seinem Höhepunkt Weltmeister. Nach 2014 fand aber unserer Meinung nach keine Weiterentwicklung statt. Es lief einfach so weiter. Es gab keinen wirklichen Umbruch im Team, in der Aufstellung wurde nicht viel verändert und in der Art des Fußballspiels ebenso. Doch noch profitierte man von der Vergangenheit, von guten Spielern, die in ihren Vereinen auf bestem Niveau spielten und, wenn man so will, gut ausgebildet waren. Letzteres trifft auch auf die Spieler des FC Bayern zu. Sie bekamen zwar einen neuen Trainer, aber lebten sowohl im Verein als auch in der Nationalmannschaft von der Ära Guardiolas. So erreichte man bei der EM 2016 noch das Halbfinale. Doch danach konnte man erkennen, dass was passieren musste. Der Fußball veränderte sich, er wurde zunehmend statischer und weniger attraktiv. Das mag viele Gründe haben. Satte Spieler, die Bayernprofis entwickelten sich Verein unter Ancelotti bekanntermaßen rückwärts und der Fußball in der Bundesliga veränderte sich. Umschaltspiel war das neue Zauberwort, die Nationalspieler wurden in ihren Vereinen zunehmend gezwungen, ohne Ball zu verteidigen und nicht mehr das Spiel mit Ball zu gestalten. In der Nationalmannschaft sollten sie aber als Weltmeister das Gegenteil tun. Das kann nicht zu 100% funktionieren, es fehlt einem schlicht an Routine und an dauerhafter Übung.

Zeitgleich tauchten neue Spielernamen in der Bundesliga auf, die mit erfrischendem Fußball auf sich aufmerksam machten. Und in der Nationalmannschaft wurde das Spiel in den Freundschaftsspielen schon zunehmend unattraktiv. Es wurde Zeit für einen neuen Schwung. Spätestens jetzt brauchte es also einen Umbruch. Der kam dann auch im Confederations Cup. Wohl gezwungener Maßen, weil gestandene Nationalspieler geschont wurden oder werden mussten. Und man gewann den Cup – dass das nicht für eine Weltmeisterschaft reicht, ist klar. Aber darauf hätte man aufbauen müssen. Bei der WM 2018 jedenfalls war davon kaum noch was zu sehen. Die altgedienten durften ran und das Ergebnis kennen wir alle. Was dabei aber erschreckend war: Der Fußball war statisch ohne Ende. Viel Ballbesitz ohne zwingende Torchancen und ohne Druck auf den Ball bei Ballverlust. Das deutsche Spiel war stehengeblieben oder ist sogar schlechter geworden, während andere Nationen sich entwickelten. Egal ob hin zum Ballbesitzspiel oder hin zum Umschaltfußball. Und Deutschland bei der WM und auch beim 0:3 in der Nations League gegen Holland?

Für welchen Spielstil steht eigentlich Deutschland? Man hat den Eindruck, dass Deutschland aktuell nicht weiß, was ihre Spielphilosophie ist und wohin sie wollen. Jetzt ist Jogi Löw als Trainer stark gefragt. Er muss die Richtung vorgeben und den Spielern dafür Lösungen aufzeigen. Wenn die Spieler in ihren Vereinen das nicht mehr mit auf den Weg bekommen oder es, wie bei Bayern aktuell, gar nicht mehr läuft, dann muss der Bundestrainer darauf reagieren können und sie optimal auf- und taktisch einstellen. Aber bei Löw kann man momentan nicht sagen, ob er ein Experte für den Ballbesitzfußball oder für das Umschaltspiel ist. Welchen Fußball man bevorzugt, ist ja eine reine Ansichtssache. Experten gibt es für Beides genügend. Das Spiel gegen den Ball lieben Mourinho, Klopp und als Weltmeister Dechamps. Den Ballbesitz zelebrieren Tuchel, Guardiola, Sari und viele mehr. Und alle haben dabei mit ihrer Art zu spielen Erfolg, das haben sie gemeinsam. Aber Löw? Deutschland hat viel Ballbesitz. Das ja, aber dieser führt nicht zum Erfolg. Viele Torchancen daraus kreieren wir definitiv damit nicht. Das gehört aber zum Spiel mit dem Ball dazu, das muss taktisch durch diverse Kniffe provoziert werden. Es fehlen dabei die selben Dinge wie beim FC Bayern aktuell unter Niko Kovac (Blog vom 8.10.2018). Entweder kann Löw das nicht und ist vielleicht taktisch nicht der beste Trainer oder die Spieler sind einfach satt oder schon zu lange dabei und frischer Wind wäre nötig.

Für Ersteres haben wir keinen Beweis. Wir sehen zwar auf dem Platz klare taktische Mängel, sind aber nicht in der Kabine dabei und wissen daher nicht, was im Detail vorgegeben wird. Was wir aber unbedingt fordern, ist neues Personal. Es müssen neue Spieler ran. Stand jetzt darf die Frage nicht lauten, ob Hummels UND Boateng sondern ob Hummels ODER Boateng. Wir fordern unbedingt Niklas Süle als Innenverteidiger. Ein zweikampf- und spielstarker Spieler, der zudem noch die nötige Schnelligkeit mitbringt. Dazu haben wir doch viele hungrige Spieler, die endlich eine Chance von Beginn an verdient hätten: Sané, Brandt, Gnabry oder Kehrer. Thomas Müller ist leider momentan derart außer Form, so dass man auf ihn verzichten muss. Wobei wir wieder sagen und es hier auch schon mehrfach geäußert haben: Müller war technisch nie der beste Fußballer, aber er hat einen verdammt guten Riecher für Räume und hat viele Tore unkonventionell geschossen. Das macht ihn stark. Doch dafür muss er auf einer Position spielen, auf welcher er diese Stärken ausspielen kann. Und das ist NICHT DER FLÜGEL! Und wird es auch nie sein. Dafür fehlt ihm Schnelligkeit und auch die technische Präzision. Wir glauben, dass Müller es nicht verlernt hat. Man hat ihm in den letzten Jahren seine Stärken genommen und ihm so auch sein Selbstvertrauen entzogen. Das muss sich ändern, auch im Verein.

Außerdem sehen wir auch Manuel Neuer nicht in der Form seines Lebens. Er wirkt unsicher, er unterläuft den ein oder anderen Ball, verschätzt sich und zeigt in einer seiner großen Stärken, dem Spielaufbau, Schwächen. Was ja auch klar ist – er war ein Jahr komplett verletzt und und wurde dann ohne Spielpraxis zur WM geschickt. Das war ein Fehler von Löw. Neuer ist Weltklasse und hätte spielen müssen, wenn wir keinen anderen gehabt hätten. Aber wir haben einen Marc ter Stegen, der in dieser Zeit ebenfalls Weltklasse beim FC Barcelona und in der Nationalmannschaft war. Dass Neuer nach so langer Zeit nicht auf seinem Topniveau spielen kann, ist doch nur logisch. Wer ein Jahr raus ist, kann dies doch nicht in einer relativ kurzen Zeit kompensieren. Ter Stegen spielen zu lassen, wäre also nur folgerichtig.

Unsere weitere Aufstellung für heute Abend wäre wie folgt:

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Wir spielen also mit einer Dreierkette im Ballbesitz. Warum? Weil wir offensichtlich keine zwei reinen Außenverteidiger mit internationaler Qualität haben. Kimmich ja, aber Jonas Hector? Es tut uns leid, aber er misst sich aktuell in der zweiten Liga mit Teams wie Heidenheim (welches bei solchen Vergleichen leider immer herhalten muss;)). Er kann daher aktuell gar nicht gegen internationale Topspieler mithalten. Daher verzichten wir auf die Viererkette, spielen stattdessen mit der Dreierkette, welche gegen den Ball zu einer Fünferkette wird. Davor eine Doppelsechs mit Kroos und Kimmich, wobei Kimmich den defensiven Part übernehmen soll. Auf den Flügeln zwei absolute Topspieler mit Sané und Brandt und im Zentrum sollen Gnabry und Draxler zum Zug kommen. Draxler war gegen Holland fehlerhaft, aber wir glauben, dass er ein guten Spieler ist, der Selbstvertrauen braucht und viel spielen muss. Zudem ist Draxler ein Spieler, der eine Absicherung nach hinten braucht und dies wissen muss. Hat er die und bekommt dadurch Sicherheit, dann kann er viel Druck nach Vorne erzeugen. Im Sturm dann Timo Werner. Wir sind ehrlich: wir sind nicht zu 100% überzeugt von ihm. Werner ist ein klassischer „Umschaltspiel-Stürmer“. Unfassbar schnell mit einem guten Abschluss, wenn er den Ball im Konter in den Lauf gespielt bekommt. Und daher perfekt für Leipzig geeignet. Aber in der Nationalmannschaft mit dem aktuellen Ballbesitzspiel scheint er sich nicht wohl zufühlen. Er kann dort seine Stärken nicht so ausspielen, aber er ist der einzige richtige Stürmer im Kader. Und mit den neuen schnellen und technisch hervorragenden Spielern am Flügel kommt er vielleicht auch zu mehr Abschlüssen nach seinem Geschmack.

Das wäre nun wirklich eine Veränderung und natürlich kann auch so gegen Frankreich verloren werden. Aber das ist doch egal. Denn was wirklich zählt, ist eine erkennbare Weiterentwicklung des deutschen Spiels für die Zukunft. Dafür darf man ruhig auch mal durch ein Tal gehen, aber danach muss man seine Lehren daraus ziehen. Auch wenn etwas lange und gut funktioniert hat, darf es nicht einen Stellenwert des Unantastbaren einnehmen. Genau dann muss es verändert und angepasst werden, um es mittelfristig in eine neue erfolgreiche Zeit zu bringen.

Wir hoffen auf ein Umdenken von Jogi Löw und fordern den Umbruch. Es wäre schade, wenn diese erfolgreiche Ära Löw abrupt enden würde. Wenn er aber heute wenig ändert und deutlich verliert, dann ist leider alles möglich. Am Freitag tagt die DFB Spitze…

Eine gute Fußballzeit!

Euer Michi

P.S.: Die Auswechselbank ist natürlich nicht ganz Ernst zu nehmen;).

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