Ohne Holland fahren wir zur WM – Aber mit Island! Wie das?

Die Überraschung war in zweifacher Hinsicht groß. Holland ist nach 2016 wieder bei einem großen Turnier nicht dabei. Und Island schafft nach der EM 2016 auch die Qualifikation zur WM 2018 in Russland. Als Gruppenerster vor Kroatien und vor der Türkei. Wie kommt es, dass sich ein Land mit ca. 330.00 Einwohner als ehemals kleine Fußballnation so gemausert hat? Und dabei nicht nur das Image eines Fußballzwerges wie Andorra oder Luxemburg abgelegt hat, sondern auch zwei Fußballnationen wie Kroatien und die Türkei hinter sich lässt? Eine kleine Spurensuche im nördlichen Teil Europas…

Die erste einfache Antwort lässt sich schnell formulieren, wenn man versucht, das Phänomen Island zu erforschen: Der Erfolg der isländischen Fussballer gründet auf viel Arbeit, gut durchdachter Planung, beheizten Soccerhallen und Kunstrasenplätze und v.a. auf der unglaublichen Einstellung der Isländer. Aber der Reihe nach.

Grundstein Nummer 1 – Fußballhallen

Früher war an Fußball in Island an gut 9 Monaten im Jahr kaum zu denken. Dem Wetter geschuldet ging es einfach nicht. Doch dann wurde Sigurdur Ragnar Eyjolfsson im Jahr 2002 technischer Direktor des Verbandes und mit ihm sollte sich vieles ändern. Neben seiner ersten Amtshandlung, einheitliche Trainingspläne für alle Kinder und Jugendlichen zu erstellen, damit nicht mehr jeder Trainer das macht, was er möchte, war er auch der Initiator für ein großes und absolut wegweisendes Bauvorhaben im ganzen Land. In den letzten zehn Jahren entstanden acht Fußballhallen mit Feldern in offizieller Fifa-Grösse, dazu vier kleinere Hallen. Zudem wurden 150 beheizte und beleuchtete Kunstrasenfelder im ganzen Land erbaut. Neben jeder Schule steht heute ein Kleinfeld mit Kunstrasen und so kann heute theoretisch jedes Kind zu fast jeder Zeit Fußball spielen.

Grundstein Nummer 2 – Top ausgebildete Trainer

Kein anderes Land der Welt hat mehr ausgebildete und lizenzierte Trainer pro Einwohner als Island. Jedes Kind soll von einem top ausgebildeten Coach trainiert und ausgebildet werden. So haben alle Jugendtrainer mindestens B-Lizenz. Und ca. 200 Trainer haben A-Lizenz – sechsmal so viele pro Einwohner wie z.B. in Dänemark. „In Schweden oder Dänemark trainieren in der Regel Väter ohne besondere Ausbildung die Kids. Dabei zeigt die Wissenschaft, dass im Alter von acht bis zwölf Jahren die wichtigsten Grundlagen geschaffen werden“, so ein Verbandstrainer.

Grundstein Nummer 3 – Einstellung und Charakter

Grundsätzlich haben die Isländer eine sehr hohe intrinsische Motivation, Dinge zu bewältigen. Die Bereitschaft in der Bevölkerung, sich für seine Ziele aufzuopfern, ist ungewöhnlich groß. Das merkt man auch in den Spielen der Nationalmannschaft: es ist eine Mischung aus aufopferungsvoller Einsatz und Kreativität, die sie so stark macht. Die Isländer sind auch bekannt für ihre Jeder-macht-Alles-Mentalität. Für sie ist dies normal. Und so passiert es eben, dass der Nationaltorwart zugleich einer besten Filmemacher des Landes ist.

Die Freude an der Herausforderung ist wichtiger als die Belohnung, die später vielleicht mal winken würde. Sprich im Fußball also Ruhm und Geld. Das Leben in Island ist zudem nicht so einfach. Es gibt oft mieses Wetter, Erdbeben sind nicht so selten, es ist oft dunkel. Das scheint den Menschen ganz allgemein zäh werden zu lassen. Darauf wiederum basiert dieser große Siegeswille. Isländer sind davon überzeugt, alles erreichen zu können, wenn sie nur hart genug arbeiten. Angst vor großen Namen im Fußball haben sie nicht.  Der Leitsatz des Landes laute «Þetta reddast», was so viel heisst wie «kein Problem». Oder: «Alles ist möglich.»

Das nötige Glück

Natürlich braucht jedes Land das notwendige Glück, wenn es solche neuen Wege beschreitet. In Island war das vor Allem die Tatsache, dass noch vor der Finanzkrise 2008 die ersten Hallen gebaut und größere Investitionen getätigt wurden. Danach wäre ein derart großes Volumen erstmal nicht möglich gewesen. Und da gab es dieses entscheidende Ereignis, dass den eingeschlagenen Weg erstmal bestätigt hat: das 4:1 der U21 in der EM-Qualifikation gegen Deutschland im Jahr 2010. Der Kern des heutigen Teams um Gylfi Sigurdsson oder Kapitän Aron Gunnarsson  besiegte die späteren Weltmeister wie Mats Hummels.  „Da spürten die Leute zum ersten Mal, was in Zukunft möglich sein könnte“, sagen die Isländer heute.

Daneben gibt es noch weitere Faktoren wie die Betreuung der Kinder nachmittags nach der Schule. Es gibt kaum einen Hort. Stattdessen werden die Kinder nach der Schule von einem Bus abgeholt und zu einem der Fußballhallen gefahren. Dort machen die Kinder ihre Hausaufgaben, bekommen was zu Essen und spielen Fußball. Eine Art freies Training. Für die besten Spieler gibt es hier natürlich dann ein entsprechend angepasstes Fördertraining. Abend holen die Eltern die Kinder dann dort ab.

Ob das alles nachhaltig ist und so weiter geführt werden kann, bleibt abzuwarten. In jedem Fall ist die Bodenständigkeit der Isländer ein Garant dafür. Und viele Isländer spielen heute in den Top Ligen Europas und werden schon mal dem ein oder anderen Brasilianer vorgezogen. Und das nicht nur der Einstellung wegen – isländische Spieler sind technisch und athletisch super ausgebildet. Und Fakt ist, dass sie die Qualifikation für die WM 2014 nur knapp verpassten. Danach haben sie die EM 2016 als Gruppenzweiter und jetzt die WM 2018 als Gruppenerster direkt erreicht. Also ein stetige Steigerung. Der Weg der intensiven Ausbildung zahlt bis jetzt aus! Wir sind weiter gespannt und freuen uns jetzt schon auf das „Huh“ aus der Fankurve bei der kommenden WM.

Eine gute Fußballzeit!

Euer Michi

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