Eine Analyse der Analysen

Viele Spielanalysen im Fernsehen sind unserer Meinung nach häufig nur sehr oberflächlich und manchmal auch einfach falsch.  An zwei relativ aktuellen Beispielen wollen wir die Analyse zur Analyse geben und kurz zeigen, dass man manchmal nicht zu schnell zu pauschal urteilen sollte.

1. Champions-League Halbfinale: Real Madrid gegen Bayern München – Sven Ulreich

Wir alle erinnern uns an die Szene. Tolisso spielt einen Rückpass zu Sven Ulreich, dieser zögert kurz und will den Ball zuerst aufnehmen. Er merkt dann zu spät, dass er den Ball nicht mit der Hand berühren darf und den Rest kennen wir. Der größte Fehler von Sven Ulreich aller Zeiten? So zumindest die einhellige Meinung in den Medien. Nur Jupp Heynckes nahm später auch Tolisso für sein etwas lasches Rückspiel mit in die Verantwortung. Aber waren es nur eine falsche Entscheidung von Sven Ulreich oder der schwache Rückpass von Tolisso, die zu diesem Gegentor führten? Oder ganz was anderes?

Zunächst muss man sagen, dass der FC Bayern in seiner Spielausrichtung generell versucht, das Spiel trotz hohem und intensivem Pressing des Gegners technisch zu eröffnen und solche Situationen spielerisch zu lösen. Somit ist schon mal der Vorwurf gegenüber Tolisso – „Warum schlägt er den Ball nicht einfach weg“ –  nicht angebracht. Die Frage ist viel mehr, warum er diesen Ball auf diese Weise gespielt hat.

Zum einen hatte sich Kimmich nach hinten außen abgesetzt, so dass Tolisso die Möglichkeit gehabt hätte, den Ball auf ihn prallen lassen. Kimmich hätte, im Gegensatz zu Tolisso, in diesem Fall eine offene Stellung und so mehr Möglichkeiten der sicheren Spielfortsetzung gehabt.

Zudem, und das ist unserer Meinung nach der größte Fehler, hätte Sven Ulrich sich am Spiel beteiligen müssen und sich seitlich neben dem Tor in Richtung rechtem Strafraumeck für einen Rückpass anbieten müssen. Sieht man sich die Szene nochmal an, erkennt man deutlich die Passivität von Sven Ulreich. Er steht zu lange fast schon unbeteiligt in seinem Tor.

Auf diese Weise hätte das Anspiel in das Zentrum wohl nie stattgefunden und mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte Ulreich die Situation dann sogar spielerisch durch einen Flugball auf die ballferne Seite lösen können.

Der Hauptfehler liegt zwar beim Torwart, aber nicht in der falschen Entscheidung in einem sehr engen und druckvollen Moment. Sondern diese Situation entsteht erst durch die Passivität von Sven Ulreich.

Übrigens: Diese Passivität kann man häufig in sehr vielen Jugend- und Amateurspielen am Wochenende sehen. Und das ist unabhängig von der Spielerposition. Wenn ich als Spieler eben nicht aktiv am Spiel teilnehme und stets vehement Bälle fordere, kann ich nicht auf ein mögliches Anspiel vorbereitet sein und habe mich auch noch nicht um eine mögliche Lösung umgeschaut.

Wenn das Anspiel nun für mich unerwartet doch kommt, bin ich erstens überrascht und habe zweitens noch keine Lösung für eine Spielfortsetzung. Genau dies ist Sven Ulreich beim Zuspiel von Tolisso passiert. Er war komplett überrascht und wusste nicht was er nun tun sollte. Daher machten sich zwei Gedanken gleichzeitig breit. Ball in die Hand nehmen? Ach nein das darf ich ja nicht, also….

Viele moderne Trainer sorgen daher stets dafür, dass sich auch ihre Keeper immer aktiv am Spiel beteiligen. Denn sie wissen: nur so ist ein fehlerfreies Überspielen von Pressing möglich. Durch den Torwart können sie dann die notwendige Überzahl gegenüber den gegnerischen Stürmern schaffen.

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2. Pokalfinale: Eintracht Frankfurt gegen Bayern München

Hörte man sich die Analysen zum Finale an, las man sich diverse Meinungen durch, dann bekam man immer die gleichen Sätze vorgesetzt: „Wir haben im Aufbau zu viele Fehler gemacht“ oder „wir haben unsere Torchancen nicht genutzt“ und „Bayern hat nicht konsequent sich nach vorne durchgespielt“. Standardsätze, die man so ja nicht nur in Zusammenhang mit dem Pokalfinale hört.

Dem 1:0 für Frankfurt ging ein Ballverlust im Mittelfeld von James voraus, der so schnell zum alleinigen Sündenbock gemacht wurde. Natürlich ist es sein Fehler, aber einer der provoziert und so von Frankfurt gewollt war. Dies sind klar erzwungene Ballverluste durch gutes, überraschendes und sehr aggressives Pressing. Also Fehler, die durch eine hervorragende taktische Leistung Frankfurts hervorgerufen wurden und die so in den Analysen kaum gewürdigt wurde.

Da Bayern eben mit zwei „10ern“ oder „8ern“ spielte, ist deren Spiel sehr offensiv ausgerichtet. Zwei Spielertypen wie James oder Thiago spielen eben risikobehafteter und suchen immer das Anspiel nach vorne. Auf diese Weise wird der Ball das ein oder andere Mal auch zu lang gehalten. Wenn dies auf deren gewohnter Spielposition passiert ist dies nicht so gefährlich, da sich der Ball noch weit weg vom eigenen Tor befindet und mindestens eine 6 sich noch hinter dem Ball ist. Beide Spieler haben sich aber viele Bälle von der 6er Position geholt und begeben sich dann in ihrem offensiven Denken dort in das Risiko eines tornahen Ballverlustes. Ein „gelernter“ 6er wie Vidal oder auch Martinez wissen um diese Brisanz und lösen damit den Druck auf der 6 meist risikolos und kompromisslos. Durch diese offensive Aufstellung der Bayern und durch die simple Antwort Frankfurts mit einer sehr aggressiven Ausrichtung zu spielen, ist die Gefahr solcher kritischen Ballverluste relativ hoch. Eine taktische Veränderung hin zum Spiel mit zwei klaren defensiven 6ern auf Seiten des FC Bayern wäre also durchaus sinnvoll gewesen.

Nach dem Spiel hieß es außerdem, Bayern hätte seine vielen Chancen nicht genutzt. Wir finden, dass es weder eine Fülle an Torchancen, noch sehr klare und deutliche Chancen gab. Stets wurde die Bayern beim Torabschluss bedrängt, geschubst oder es hat sich noch einer dazwischengeworfen. 100% Einsatzwille sind dafür nötig, aber auch eine gute taktische Marschroute.

Frankfurt hat mit einer flexiblen 5er- bzw. 3er-Kette viele klare Torchancen des FC Bayern minimieren und eindämmen, sowie den Gegner wie oben beschrieben immer wieder aggressiv unter Druck setzen können.

Wenn Frankfurt tief stand wurden die Räume durch die 5er-Kette extrem verdichtet. Somit war die Eintracht zum einen bei Flanken mit nominell 3 Innenverteidigern im Zentrum gut gerüstet. Zum anderen sind die Flügel so stets gut besetzt gewesen, um gefährliche Flanken von der Grundlinie zu verhindern.

Das System wurde dabei immer wieder zur 3er Kette, wenn der Gegner hoch unter Druck gesetzt werden sollte. Dabei schob die Kette einen Außenverteidiger komplett nach vorne durch und der ballnahe Innenverteidiger wurde vorübergehend zum Außenverteidiger. Dadurch konnte der Raum im Zentrum mit 2 Spitzen und 3 zentralen Mittelfeldspielern enorm verdichtet werden.

Genau aus so einer Situation heraus wurde auch der Ball zum 1:0 erobert. Zeitgleich waren viele schnelle Spieler in Tornähe, wodurch der Konter aussichtsreich war und erfolgreich abgeschlossen werden konnte.

Zusammenfassend muss man also sagen: Frankfurt gewinnt dieses Spiel verdient durch eine in erster Linie klasse taktische Strategie des Trainers Niko Kovac. Die zwei zentralen Aspekte, dass

  1. die 5er kette in Kombination mit einer sehr aggressiven Spielweise kaum klare und große Torchancen zuließ und
  2. die 3er Kette hohes, überraschendes und aggressives Pressing ermöglichte, den zentralen Spielern des FC Bayern die Anspielmöglichkeiten so genommen wurden und mehrere aussichtsreiche Konter gespielt werden konnten,

ermöglichte den Frankfurter Sieg. Und genau das wurde in den Analysen danach kaum gewürdigt.

Es lohnt sich also ein zweiter, tiefgründiger Blick. Wir würden uns wünschen, dass es weniger oberflächliche Anaylsen gibt, weniger Floskeln zum Einsatz kommen. Einem tollen Torwart wie Sven Ulreich, der für die Bayern so großartig in dieser Saison gehalten hat, wird das sonst nicht gerecht. Ebenso verhält es sich mit Niko Kovac, der seine Qualitäten in diesem Spiel klar gezeigt hat.

Eine gute Fußballzeit!

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