Bolzplatzmentalität – richtige Forderung, falsche Interpretation!

Bolzplatzmentalität – ein Schlagwort, dass seit geraumer Zeit immer wieder im Zusammenhang mit Jugendausbildung und Talententwicklung gennant wird. „Wir brauchen wieder mehr Bolzplatzmentalität“! So sehen es viele Experten, die Verbände fordern dies mit am deutlichsten. So würden wir wieder mehr technisch versierte Spieler bekommen, die das 1 gegen 1 lösen können und den Unterschied machen. Ist es wirklich so einfach? Sorgt ein Bolzplatz oder ein freies, dem früheren Bolzplatz ähnlichem organisiertem Spiel wie Funino automatisch für bessere Fußballer? 

Die Bolplatzmentalität zu fordern und die Spiele daher am Wochenende anders zu organisieren, ist zunächst mal keine falsche Entscheidung. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung – mehr allerdings leider auch nicht. Ein 3 gegen 3 bei den F-Junioren oder ein 5 gegen 5 in der E-Jugend ist sicherlich besser, als ein 7 gegen 7 bei den F-Junioren mit akzelerierten und retardierten Spieler wild gemischt, in welchem nur wenige Spieler ein paar Ballkontakte bekommen und der Rest nur durch die Gegend läuft, ohne einen Ball zu berühren.

Aber man darf daraus nicht den Schluss ziehen, dass wir dadurch automatisch bessere Fußballer bekommen. Denn nicht das freie Spiel in diesen Spielformen am Wochenende sorgt für technisch bessere und kreativere Fußballer. Sondern es sind v.a. die vielen Wiederholungszahlen auf einem klassischen Bolzplatz , die uns früher zu technisch guten Spielern werden ließen. Und die Tatsache, dass es niemanden gab, der uns verboten hat, Tricks  und schwere Pässe auszuprobieren. Dazu aber gleich noch mehr.

Wie hat ein Bolzplatz früher funktioniert?
Ich selbst bin eines dieser Bolzplatzkinder und weiß daher genau wovon ich spreche.
Wir sind jeden Tag direkt nach der Schule heimgefahren, haben schnell gegessen und kurz 30 min Hausaufgaben gemacht. Dann sind wir spätestens um 14 Uhr auf dem Bolzplatz gewesen.

Dort angekommen haben wir ca. 4 Stunden gekickt, bevor wir heim oder ins Training mussten. Am Wochenende haben wir vor dem Spiel und nach dem Spiel alle Zeit am Bolzplatz verbracht.
Bei uns gab es kein zu viel. Sondern nur ein noch mehr. Es gab kein „Vor dem Spiel müssen wir uns ausruhen, sonst bist du im Spiel nicht spritzig“, oder „nach dem Spiel machst du mal Pause, du musst dich erholen.“ Wir haben unendlich viel Zeit mit der Kugel verbracht. Wir haben einfach das gemacht, was uns Spaß bereitete und was die Sportwissenschaft heute sogar wissenschaftlich vorgibt. Denn es ist mittlerweile bewiesen, dass Kinder ca. 5000 Wiederholungen benötigen, um einen Trick oder eine Technik unter vollen Wettkampfbedingungen hinbekommen. Und genau diese hohen Wiederholungszahlen haben wir uns in der Kombination Bolzplatz und Teamtraining geholt.

Das hat uns zu guten Kickern gemacht: viel Zeit auf dem Bolzplatz mit einhergehend sehr sehr vielen Wiederholungen. Nicht der Bolzplatz an sich ist also dafür verantwortlich. Das hätte auch in einer Turnhalle oder auf einem perfekten Rasen stattfinden können.

Klar ist aber auch: Diese Menge an Ball-Zeit ist unter den heutigen Gegebenheiten (Schule, strukturelle Defizite in den Städten etc.) gar nicht mehr oder kaum noch möglich. Und – das haben wir hier schon oft diskutiert – hinzu kommt dass den Kindern heutzutage im Training bei jedem Trick oder kreativem Anflug der Rüffel durch den Trainer droht.  Zu oft steht einfach das Ergebnis im Vordergrund, und nicht die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Ausprobieren, wie früher auf dem Bolzplatz eben, ist nicht erlaubt. „Spiel den Ball“, „Schieß“, „schneller Passen“ – das sind die Kommandos, die auf unseren Fußballplätzen klar dominieren.

Wir haben  früher einfach getrickst, Doppelpässe gesucht und gekämpft bis zum Umfallen. Und das oft viele Stunden jeden verdammten Tag. Positiver Nebeneffekt: durch das ständige Kicken waren wir mental und physisch sehr widerstandsfähig und wollten uns immer durchsetzen. Wir waren nicht müde im Spiel, auch wenn wir davor noch zwei Stunden selbst gespielt haben. Wir konnten einfach nicht genug bekommen.

Der Effekt der Bolzplatzmentalität liegt demnach nur zu einem geringen Teil im freien Spiel oder in kleineren Spielformen, sondern v.a. in der Intensität und Umfang des Fussballspielens. Und das ohne einen erfolgsorientierten Trainer, der ständig das Ausprobieren von Tricks und Techniken verhindert.
Übrigens: Was wäre denn gewesen, wenn wir in diesen vielen Stunden noch einen super Trainer gehabt hätten, der uns die ein oder andere technische Lösung hätte zeigen können? Und uns Tipps im Zweikampf, Doppelpass oder taktischem Verhalten gegeben hätte, ohne uns dabei in der Kreativität einzuschränken oder uns das Tricksen zu verbieten? Denn natürlich haben wir damals auch viele unsinnige Dinge im Spiel gemacht, die wir selbst nie bemerkt haben. Ein Trainer hätte uns dies aufzeigen können. So wären wir also noch besser geworden. Zum Teil gab es übrigens dieses Coaching: die älteren Spieler haben es uns gezeigt!

Aus meiner Sicht ist also das Verändern der Spielstruktur hin zu einem 3 gegen 3 oder einem 5 gegen 5 in jungen Jahren ein richtiger Schritt. Aber es braucht in der heutigen Zeit noch ein paar weitere, wichtige Stellschrauben, um die Effekte des klassischen Bolzplatzes zu erhalten. Wir müssen die Schlagzahl und die Intensität neben dem Trainingsumfang steigern und mehr Qualität ins Training bringen. Das heißt viele Tricks und Techniken lernen und ausprobieren dürfen, geringe Anstellzeiten im Training organisieren, dadurch hohe Wiederholungszahlen generieren, viele Spiele mit vielen Spielzeiten für alle Kinder ermöglichen und eine optimale Trainingsorganisation.
Dies ist v.a. durch kleinere Kader, zusätzliche Individual- oder Fördertrainings und mehr Know How im Sinne von fachlich und pädagogisch guten Trainern, die den Kids alles vormachen können, zu erreichen.

Eine schwere Aufgabe, keine Frage. Aber wir wollen ja eine Antwort auf die Frage, wie man technisch bessere und kreativere Spieler bekommt. Dafür muss einfach an mehr Schrauben als einer gedreht werden!

Eine gute Fußballzeit!

Euer David Niedermeier

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2 Gedanken zu „Bolzplatzmentalität – richtige Forderung, falsche Interpretation!

  1. Manuel

    Top Artikel von Euch, Danke!

    Das man ein Kind mit regelmäßigen Training kaum besser machen kann, als eines das den Fussball täglich lebt und liebt, ist eine sehr wichtige Erkenntnis, die manch ein Trainer nur schwer akzeptieren kann.

    Wir brauchen kleinere Spielformen, klar, aber noch mehr brauchen wir wieder mehr Bolzplätze und Freizeit für die Kinder. Hier liegt der wesentliche Nachteil … der Kampf scheint mir aber bei Betrachtung unserer Gesellschaft fast hoffnungslos.

    7vs7 ist und war schon immer Unfug. Diskussionslos. Funino ist eine tolle Spielform als Ergänzung, aber ausschliesslich nur noch Minitore bis zur E?

    Ich sehe die Kinder ‚vor Begeisterung‘ förmlich platzen, wenn man ihnen den ‚Wumms‘ aufs ‚große‘ Tor und die Torwarthandschuhe wegnimmt.

    Auch hört man die Spezial-Trainer bei allen Turnieren mit kleinen Spielformen genauso oft fordern, dass der Ball so schnell es geht abgespielt werden soll …

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  2. Hanna Adams

    Vielen Dank für den Beitrag zur Bolzplatzmentalität. Mein Bruder möchte wieder mit dem ​Hallentraining für Fußball beginnen, da er wegen einer Knieverletzung länger ausfiel. Gut zu wissen, dass viele Verbände zu mehr Bolzplatzmentalität aufrufen.

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