Alles Fairplay oder was?

Paul Niehaus

MFSFussballtraining.TV möchte auch anderen Experten in Form von Gastbeiträgen die Möglichkeit geben, ihr Wissen über Fußballtraining zu teilen. Heute an dieser Stelle schreibt unser Trainer Paul Niehaus (Ex-Profi SpVgg Unterhaching, B-Lizenz Inhaber und Student der Sportwissenschaften).

Es ist zwar jetzt schon über eine Woche her, dass der FC Bayern bei den Borussen aus Gladbach 1:0 gewann. Müller hat nach langer Zeit sein zweites Bundesligator geschossen. Endlich…und doch wurde eine Szene nach dem Spiel so intensiv diskutiert, so dass Müllers zweites Saisontor schon fast zur Nebensache geriet. Der Gladbacher Jonas Hofmann hatte daran seinen Anteil.

Er gab eine vermeintliche Schwalbe zu und verzichtete somit auf einen Freistoß in guter Position. Wir sind große Verfechter des Fairplay und fordern dies von unseren Kindern und Jugendlichen immer wieder ein. Was aber war daran so außergewöhnlich? Warum ist es so ein besonderes Ereignis, dass ein Spieler eine Schwalbe zugibt? Weil es Leistungssport ist? Und war es überhaupt eine Schwalbe? Ein Erklärungsversuch…

Borussen Trainer Dieter Hecking steht nach dem Spiel gegen den FC Bayern den Reportern Rede und Antwort. Jedoch ist der Spielverlauf und das Ergebnis Nebensache. Die zahlreichen Journalisten interessiert vor allem eins: Was sagt der Trainer der Fohlen zu der Fair-Play Geste von Jonas Hofmann?

Was war passiert?

Jonas Hoffmann dribbelt im hohen Tempo durchs Mittelfeld des FC Bayern. Thiago kommt von rechts und grätscht in den Laufweg des Gladbachers. Hofmann kommt zu Fall und der Schiedsrichter entscheidet auf Freistoß. Daraufhin protestiert Thiago heftig und bringt den Schiedsrichter dazu, noch mal bei Jonas Hoffmann nachzufragen, ob es denn wirklich einen Kontakt bei dieser Grätsche gegeben hat.  Dieser verneint die Frage und der Schiedsrichter entscheidet auf Schiedsrichterball. Eine Antwort, mit der Hofmann alle Beteiligten in dieser Situation beeindruckte und durchaus überraschte.

Diese Geste ist auch vor dem Hintergrund interessant, dass noch zwei Wochen zuvor Hofmanns Teamkollege Stindl ein fragwürdiges Tor mit der Hand erzielte. Auch hier gab es eine Menge Gesprächsstoff, wobei hier Stindls „bundesligataugliche“, alltägliche Reaktion, das Handspiel nicht zuzugeben, im allgemeinen Tenor negativ ausgelegt wurde. Ein kurzer intensiver Aufschrei wie immer in solchen Situationen – mehr aber auch nicht. Schließlich ist es Leistungsfußball und da gehört das halt dazu. Es machen ja alle so.

Aber danach gab es offensichtlich ein Umdenken in Gladbach zum Thema Eigengeständnisse. Der neue Trainer scheint hier eine große Rolle zu spielen. Denn Dieter Hecking kommentierte nach dem Spiel gegen den FC Bayern zu Thema Fairplay: „Wir haben das innerhalb der Mannschaft thematisiert.“ Weiter sagte Hecking: „Ich weiß es ist nicht immer ganz einfach. Aber in der Szene hat es Jonas gemacht.“ Dieter Hecking betonte: „Wir wollen dafür stehen, dass Schauspielerei und Fehlentscheidungen keinen Einfluss auf das Spielergebnis haben“.

Seltene Worte eines Bundesligatrainers, der schon lange dabei ist und damit ein klares Signal an die Liga setzen möchte: „Dafür werden wir jetzt nicht allzu viel Beifall kriegen“, meint der Trainer und nimmt die anderen Mannschaften in die Verantwortung: „Es hilft wenig, wenn es Einzelne machen. Wenn es häufiger der Fall wäre, dann ist das für alle gut.“ Jedoch sieht Hecking genau hierbei das Problem: „Wenn wir die Einzigen bleiben, dann wären wir am Ende die Dummen.“

Die Münchner Fußball Schule hat ihre Aufmerksamkeit schon etwas länger auf diese unsportlichen Verhaltensweisen gelegt. Wir positionieren uns klar gegen Unsportlichkeit und Schwalben.  Und sehen das Verhalten von Hofmann und die Aussagen von Dieter Hecking als äußerst positiv. Denn nicht nur der Effekt, den so ein Auftreten auf die Liga hätte, wäre großartig.  Das hätte zum Vorteil, dass es weniger Spielunterbrechungen gäbe, man weniger Diskussionen auf und neben den Platz mit und über das Schiedsrichtergespann hätte und man sich wieder mehr auf seine eigenen Leistungen konzentrieren würde.

Vor Allem aber die Wirkung, die das Ganze auf Kinder und Jugendliche hätte, wäre unbezahlbar. Die Schwalben und Unsportlichkeiten werden auch in diesem Bereich immer häufiger, weil auch die Jugendlichen schon wahnsinnig früh in das Erfolgsdenken eingeführt werden und somit ohne Rücksicht auf Verluste den Sieg erzwingen wollen. Das dabei viel zu oft nicht die eigene Leistung im Vordergrund steht, ist absolut fragwürdig. Dies lenkt viel zu häufig von den eigenen Fehlern ab. Eine Weiterentwicklung kann so dauerhaft nicht wirklich stattfinden bzw. ihre Vollendung finden. Hierbei könnte ein Umdenken bei den Profis, die eine absolute Vorbildfunktion haben, dieser Entwicklung entgegenwirken. Ebenfalls sind die Worte von Dieter Hecking nicht nur an seine Trainerkollegen in der Bundesliga gerichtet, sondern auch an alle weiteren Trainer. Wir sehen vor allem die Jugendtrainer dabei in der Pflicht diese Philosophie des Fair-Play Gedanken den Spielern bei jeder Gelegenheit zu vermitteln.

In der Bundesliga scheint es nicht allzu einfach umsetzbar zu sein, da hier alle Beteiligten nach Erfolg schreien und keine Rücksicht auf soziales Verhalten auf dem Platz nehmen. Hierbei geht es um Tore. Diese führen wiederum zu Punkten. Und diese führen wiederum zu Geld. Und dabei geht es hier nun mal in erster Linie. Da ist kein Platz für das Eingestehen einer Schwalbe, wenn die darauffolgende Aktion ein Elfmeter oder ein ruhender Ball in aussichtsreicher Position ist. Ein Stückweit auch verständlich. Aber wenn die es nicht machen, woher sollen dann die jungen angehenden Sportler ihre Motivation nehmen. Wenn sie sehen, dass unfaires Verhalten zu Erfolg führt, adaptieren sie das natürlich.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass dieser Gedanken von früh auf den jungen Fußballern vermittelt wird. Da stehen wir Jugendtrainer ganz klar in der Verantwortung und das muss uns bewusst sein. Denn zunächst mal muss der junge Fußballer ausgebildet werden. Und zwar in Technik, Technik und nochmals Technik. Dazu kommen die Athletik und natürlich die Taktik. Das ist es, was einen guten Spieler später ausmacht und was alle Fans dieses Sports so lieben. Gute Kicker mit tollen Fähigkeiten. Schwalben, Diskussionen um Freistöße etc. lenken wie gesagt nur von den eigenen Fehlern ab. Daher müssen sie im Sinne einer Ausbildung und Entwicklung von Fußballspielern im Training und Spiel nicht nur hinten anstehen, sondern unserer Meinung nach ganz verschwinden. Und nehmen wir mal nochmal das aktuelle Beispiel Jonas Hofmann. Wofür haben wir denn in den letzten Jahren Borussia Mönchengladbach schätzen gelernt? Doch wohl für ihren tollen Offensivfußball mit klasse Fußballern. Das macht uns Freude…

Aber nochmal zurück zu dieser Situation im Spiel gegen die Bayern. Was auch auffiel, waren die Aussagen nach dem Spiel von Jonas Hofmann selbst. Dieser kommentierte die Situation folgendermaßen: „Ich wollte keine Schwalbe machen. Ich habe gedacht, dass ich gleich umgesenst werde und bin dann aus dem Gleichgewicht geraten.“ Dabei stellt sich uns schon auch die Frage, ob das überhaupt eine Schwalbe war oder ob sich der Spieler nicht auch geschützt hat. Denn dass Thiago den ballführenden Spieler durch seine Grätsche aus dem Konzept bringen will, ist klar. Und oftmals werden Grätschen oder Tacklings auch einfach auf Grund einer offensichtlichen Absicht geahndet.

Noch dazu kommt, dass der Spieler in einem sehr hohen Tempo angelaufen kommt und durch so eine Grätsche schneller aus dem Tritt kommen kann. Denn der erste Gedanke, wenn jemand so an mich heranrauscht, ist doch bei jedem Menschen: Ich muss mich schützen. Bedeutet in diesem Fall, über die Grätsche hinwegzuspringen, aus dem Gleichgewicht zu kommen und sich zwangsläufig fallen zu lassen, bevor der Spieler mich mit dieser Grätsche in vollem Lauf meinen Knöchel wegtritt. Jedoch ist nicht ganz einfach zu entscheiden, wann ist etwas Absicht und wann nicht. Also wann springt ein Spieler absichtlich in die Luft und wann will er sich nur schützen. Genauso unklar ist, wann so eine „Grätsche ins Leere“ den Spieler tatsächlich behindert und wann nicht. Sie sehen, wie schwer es uns fällt, hier einen klaren Standpunkt zu bekommen. Jetzt kann man sich nur ansatzweise denken, wie schwer es dem Schiedsrichter fällt, der in kürzester Zeit entscheiden muss. Das zeigt eigentlich wieder nur, wie sinnfrei Diskussionen mit dem Schiedsrichter sind und wie wichtig es ist, sich auf seine Leistung auf dem Platz zu konzentrieren und die fußballerischen Qualitäten wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Und dies muss zwingend im Kinder- und Jugendfußball gelten. Wenigstens hier sollte es keine zwei Meinungen geben.

In diesem Sinne eine gute Fußballzeit!

Paul Niehaus

Paul Niehaus

Paul Niehaus studiert an der TU München Sportwissenschaften. Der B-Lizenz Inhaber war als Fußballer auch als Profi bei der SpVgg Unterhaching aktiv. Er ist Fußballer durch und durch und will diese Leidenschaft bei uns in der Münchner Fussball Schule den Kindern vermitteln.

Ein Gedanke zu „Alles Fairplay oder was?

  1. wolfgang

    Hallo Michi,
    danke für Deine treffsichere Analyse. Da hilft nur eines. Grätschen endlich verbieten so wie es im Futsal der Fall ist. Dann fallen vielleicht auch mehr Tore aber vor allem werden die Spieler geschützt. Und wenn das nun einen Aufschrei im Sinne von „Fussball ist kein Halma“ nach sich zieht, dann muss es zumindest im Amateurbereich und vor allem im Kinder- und Jugendfussball eingeführt werden. Und wer doch grätscht sollte mit drastischen Strafen belegt werden und nicht nur eine gelbe Karte bekommen.
    lg
    wolfgang

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